Etwa ein Jahr ist es nun her, dass ich Wien den Rücken gekehrt habe. Ich komme wunderbar ohne die Großstadt klar, das steht außer Frage. Fehlen werde ich Wien auch nicht, höchstens ein paar seiner Bewohner, vielleicht. Anfangs haben sie mich in regelmäßigen Abständen gefragt wann ich mal wieder vorbei komme. Meine Antworten waren ausweichend. "Vielleicht in den Osterferien" "Kann sein dass ich am verlängerten Wochenende vorbeischau, nein, nicht das kommende, das übernächste" "Allerspätestens zur Comic Con schätze ich"
Wahrheitsgemäß hätte ich gleich sagen sollen dass ich nicht konkret plane überhaupt nochmal einen Fuß in diese Stadt zu setzen. Viel mehr habe ich vor mich von Wien fern zuhalten- und zwar ganz konkret.
Das ist armseelig und sicher auch kindisch und den Menschen, die dort wohnen und ich sehr mag gegenüber unfair. Ich bin nunmal irrational und irgendwas sagt mir einfach, dass ich nicht nach Wien fahren kann, einfach so, als wäre alles in Ordnung zwischen mir und dieser verfluchten Stadt, so als könnte ich sie regelmäßig besuchen wie eine alte Bekannte. Nein, das ist undenkbar.
Es gab nie eine Zeit, in der ich Wien besonders toll fand. Sehr wohl gab es aber eine Zeit in der ich furchtbar scharf darauf war abzuhauen. Weg von der heimatlichen Kleinstadt, rein in mein abenteuerliches, neues Leben, sich noch mal umzudrehen war nicht notwendig.
Also kam ich nach Wien, ohne Job, ohne Wohnung, nur mit einem Koffer und einem Rucksack und dem großen Verlangen nach etwas Neuem. Und dann schlug Wien zu.
Die nächsten zwei Jahre erzählen die Geschichte wie meine beste Freundin und ich uns gegenseitig heftige, emotionale Schmerzen zufügen und schließlich getrennte Wege gehen. Wie ich mir eine Wohnung miete, die so klein und hässlich ist dass man am liebsten die ganze Bude niederbrennen möchte. Aber ich kann sie mir wenigstens gerade so leisten. Ich schaffe mir zwei Ratten an, weil ich einsam bin. Ich fühle mich verloren. Es geschehen viele unschöne, kleine Dinge aber etwas Großes, Echtes geschieht nie. Die Leute mögen mich, solange ich ihnen auf Parties begegne, gute Laune vom Bier habe und mit ihnen über Festivals diskutiere. Das ist alles. Die Stadt hasst mich sowieso, scheint mich entweder abstoßen oder völlig verschlucken zu wollen.
Dann sterben die Ratten an Tumoren und ich hacke mir mitten in der Nacht aus unerfindlichen Gründen die geliebten Dreads ab. Es steht fest, ich muss raus hier. So schnell wie ich gekommen bin verschwinde ich aber nicht. Im Gegenteil. Ich verblute noch ein weiteres halbes Jahr in der verfluchten, verdammten Stadt bis ich stark genug bin um mit der letzten Kraft die ich noch aufbringe abzuhauen.
Wien hat mir sehr weh getan, das muss ich erstmal alles verkraften und wieder gerade biegen. Aber kaum ist man weg, wird man gefragt wann man wieder kommt. Das ist nett gemeint, ich weiß. Ich würde gerne wieder kommen aber ich kann nunmal nicht, wegen Wien.
Das Jahr ohne die Stadt hat mir sehr gut getan. Ich mache wieder Sport, bin kräftiger geworden und habe ein deutlich konstanteres soziales Netzwerk. Aber Wien hat doch Spuren hinterlassen obwohl ich das nicht getan habe. Ich habe Wien nicht annähernd so gezeichnet wie Wien mich und dieser Gedanke stört mich.
Wien pulsiert und atmet ohne mich weiter, es ist egal ob ich mal hier war oder nicht, Wien ist noch Wien, unverändert, ich aber bin nicht mehr dieselbe.
Meine Freunde sagen ich wäre zu hart zu der Stadt. "Wien ist toll, dir ging es nur nicht gut."
Für manche mag Wien auch toll sein. Aber man sieht keine Sterne am Nachthimmel, das hätte mir von Anfang an eine Warnung sein sollen. Eine Weile schaffte es die Stadt aber doch mich einzufangen mit ihren lauten Beats und bunten Lichtern die Nachts aus diversen Kellern dringen, wenn man danach sucht, den fröhlichen Studenten von überall her die immerzu lächeln, ganz im Gegensatz zum typischen von Grund auf grantigen Wiener, dem vielen guten Essen und, ja ich geb´s zu, den vielen tollen Klamottenläden.
All das ist schön aber nichts lebenswichtiges. Atmen zu können, DAS ist lebenswichtig aber Wien hat versucht mich zu ersticken. Alle meine Freunde scheinen diese Stadt zu vergöttern. Das ist einer der gravierendsten Unterschiede bei uns. Man muss Wien nicht mögen, genauso wie man es nicht so fürchten muss wie ich es tue.